Wenn man die Soziologie einer Sprache als ganzer betreibt, sind folgende Beschreibungsparameter relevant:

  1. Natur der Sprache:
    • Eine natürliche Sprache ist Kommunikationsmittel mindestens einer Gesellschaft, und zwar im typischen Falle eine traditionelle Sprache (s.u.). Marginal fallen unter den Begriff auch Pidginsprachen und aussterbende Sprachen.1
    • Eine Plansprache oder Welthilfssprache dagegen ist Sprache keiner Gesellschaft. Es gibt Hunderte von Welthilfssprachen. Die bekannteste ist das 1887 von Ludwik Zamenhof veröffentlichte Esperanto. Vorher gab es schon Volapük, später z.B. Interlingua.
  2. Entwicklungsstufe (vgl. die ausführlichere Darstellung von Pidgin- und Kreolsprachen):
    • Ein Pidgin ist eine Sprache, die als Verständigungsmittel zwischen Menschen entsteht, die sich mit den ihnen zu Gebote stehenden Sprachen nicht verständigen können. Solche Situationen sind vor allem in der Kolonialzeit (z.T. absichtlich) geschaffen worden, entstehen aber auch im internationalen Handel. Eine Pidginsprache ist per definitionem niemandes Muttersprache. Sie ist in ihrer Funktionalität gegenüber traditionellen Sprachen stark eingeschränkt. Ihr Sprachsystem speist sich aus den von den Benutzern mitgebrachten bzw. in ihrer Situation dominanten Sprachen. Tendentiell (und mit einiger Vereinfachung) liefern die Muttersprachen (das Substrat, s.u.) die Syntax, die Kolonialsprachen das Lexikon. (Eine Sprache, die in diesem Sinne das Lexikon für eine andere liefert, heißt Lexifikatorsprache.) Da das ganze Sprachsystem nur rudimentär ist, gibt es normalerweise keine Morphologie. Es gab auch auf Deutsch basierende Pidgins, darunter das in Namibia gesprochene Küchendeutsch.
    • Eine Kreolsprache ist eine traditionelle Sprache, die aus einem Pidgin hervorgegangen ist. Sie entsteht, wenn Menschen ein Pidgin im Primärspracherwerb als Muttersprache lernen, was typischerweise dann der Fall ist, wenn ihre Bezugspersonen miteinander Pidgin sprechen. Sobald eine Sprache Muttersprache ihrer Sprecher ist, nimmt sie – natürlich bezogen auf die Kultur der Sprachgemeinschaft – volle Funktionalität an und entwickelt auch ein komplexes Sprachsystem. In der Linguistik meistbehandeltes Beispiel ist das Tok Pisin oder Neomelanesisch, das auf Neuguinea als Pidgin auf melanesischem Substrat und mit Englisch als Lexifikatorsprache entstanden und dort mittlerweile Verkehrssprache ist. Es gibt aber auch Kreols, die auf Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Russisch oder Arabisch basieren.
    • Eine Sprache ist in einer Gemeinschaft traditionell, wenn sie in ihr über die Generationen überliefert, also von Kindern als Muttersprache erworben wird. Das impliziert nicht, daß es neben ihr keine anderen Sprachen in der Gemeinschaft gibt; aber es schließt aus, daß sie ausschließlich als Zweitsprache verwendet wird.
    • Eine Sprache stirbt in einer Sprachgemeinschaft aus, wenn sie nicht mehr verwendet und insbesondere nicht mehr als Muttersprache erworben wird. Wenn der Sprachtod nicht gerade eine Folge von Gewaltanwendung ist, ist er normalerweise ein sich über Generationen hinziehender Prozeß. Die Sprachgemeinschaft lebt in einer Gesellschaft, deren dominante Sprache eine andere ist, und bequemt sich nach und nach den herrschenden Verhältnissen an. Ihre Mitglieder erwerben die dominante Sprache als Zweitsprache, werden bilingual und entscheiden in einer weiteren Phase, daß es keinen Sinn hat, ihren Kindern die traditionelle Sprache beizubringen. Fortan gibt es keine Menschen mehr, die diese Sprache als Muttersprache lernen, und wenn der Prozeß nicht durch Sprachplanung und Revitalisierung umgekehrt wird, ist sie zum Aussterben verurteilt. Das dauert dann allerdings noch bis zu dem Punkt, da die letzten Sprecher sterben oder sich nicht mehr an die Sprache erinnern. Zuvor wird die Sprache in ihrer Funktionalität eingeschränkt, d.h. wie wird typischerweise nicht mehr in der Öffentlichkeit, sondern nur noch im familiären Kreise und nur noch von älteren Menschen verwendet. Wenn nur noch alte Menschen sie kennen, ist sie moribund (“sterbend”).
      Das Aussterben von Sprachen hat sich mit Verbreitung der Massenkommunikation und der Zentralisierung in vielen Staaten der Welt, wo die Nationalsprache als alleinige Bildungssprache durchgesetzt wird, stark beschleunigt. Vermutlich stirbt jedes Jahr etwa ein Dutzend Sprachen aus. Die Dokumentation und Beschreibung bedrohter Sprachen ist die einzige dringende Aufgabe der Sprachwissenschaft. Beispiele von Sprachen, die in der jüngsten Zeit ausgestorben, aber zuvor noch linguistisch beschrieben worden sind, sind Cahuilla (uto-aztekisch, Kalifornien) und Dyirbal (Pama-Nyunga, Australien).
    In der Frage der Primitivität von Sprachen ist aus dem Angeführten der Grundsatz abzuleiten, daß Pidginsprachen einerseits und aussterbende Sprachen andererseits tatsächlich primitiv sind in dem Sinne, daß sie funktional und strukturell nur rudimentär ausgebaut sind und keine Effabilität haben. Sie sind aber eben noch nicht oder nicht mehr traditionelle Sprachen. Sie sind deshalb aus der Frage, ob es auch unter den traditionellen Sprachen relativ primitive gibt, herauszuhalten. Darüberhinaus lassen sie aus demselben Grunde auch keine Schlüsse auf die etwaige Primitivität ihrer Sprachgemeinschaft zu.
  3. Status der Sprache in der Welt:
    • Wenn man eine Nation als ein Volk mit einem Staat versteht, dann sind die meisten Sprachen der Welt Sprache keiner Nation. Das gilt z.B. für Kurdisch (Iranisch, Vorderasien), Baskisch (isoliert, Westeuropa), Tzeltal (Maya in Chiapas, Mexiko) oder Jaminjung (Australien).
    • Manche Sprachen sind Sprache einer einzigen Nation. Das trifft in Europa z.B. auf Polnisch und Italienisch zu, aber z.B. nicht auf Deutsch.
    • Viele Sprachen sind Nationalsprache in mehreren Staaten. Das gilt etwa für Arabisch und Spanisch.
    • Mehrere Sprachen sind internationale Verkehrssprachen. Englisch ist als Zweitsprache über die ganze Welt verbreitet. Swahili ist Verkehrssprache in Mittelafrika, Tok Pisin auf Neuguinea und den Nachbarinseln. Eine Sprache, die in einem bestimmten Bereich der internationalen Verständigung dient, heißt auch lingua franca (italienisch, “freie Sprache”).
  4. Status der Sprache in einer Gesellschaft:
    1. Quantitativer Status:
      • In manchen Gesellschaften wird traditionell (also abgesehen von mehr oder minder großen Einwanderergruppen) nur eine einzige Sprache gesprochen. So wird in Japan (nach dem Aussterben des Ainu) ausschließlich Japanisch, in Portugal ausschließlich Portugiesisch gesprochen. Solche Einsprachigkeit (Monolinguismus) ist manchmal auch nur für den größten Teil einer großen Nation charakteristisch, wie z.B. Englisch in den U.S.A. (aber nicht im Süden), Deutsch in Deutschland (aber nicht im Norden und Osten). Monolinguismus ist eine typische Errungenschaft der Staatenbildung in den sog. zivilisierten Ländern.
      • In den meisten Gesellschaften koexistiert eine Sprache mit einer oder mehreren anderen. (Wenn man mit 193 Staaten und nur 6.000 Sprachen auf dem Globus rechnet, sind es immerhin 31 Sprachen pro Staat.) In Wales wird Kymrisch neben Englisch gesprochen, in Mexiko wird Spanisch neben ca. 60 Indianersprachen gesprochen. Dies bedeutet für die Gemeinschaft der nicht dominanten Sprachen meistens Bilinguismus oder gar Multilinguismus. Auf Neuguinea z.B. ist das Hua bloß eine von drei bis fünf von jedem Mitglied des Stammes beherrschten Sprachen. Hier sind also Sprachen im Kontakt (engl. languages in contact), und zwar sowohl in der Gesellschaft als auch im einzelnen Sprecher. Die Sprecher wechseln zwischen den Sprachen (engl. code switching) je nach der Kommunikationssituation. Solche soziolinguistischen Verhältnisse führen zu extensiver Entlehnung und zu Interferenz im Gebrauch.
      • Die meisten Sprachen der Welt sind Minderheitssprachen: sie werden nur von einer Minderheit einer Staatsbevölkerung gesprochen und haben meist keinen offiziellen Status. Das gilt z.B. für fast alle Indianersprachen mit zwei Ausnahmen: Guaraní ist in Paraguay, und Quechua in Peru und Bolivien Amtssprache neben Spanisch.
      • Einige Sprachen sind in einem oder mehreren Staaten Mehrheitssprache. Das ist z.B. die Situation von Deutsch in einigen europäischen Staaten und von Baule (Kwa) in der Elfenbeinküste.
    2. Den qualitativen Status einer Sprache kann man nach mehreren Kriterien einschätzen:
      • Einige Sprachen haben gemäß der Verfassung eines Staats dort den offiziellen Status der Staatssprache oder wenigstens einer Amtssprache. Z.B. ist Hindi in Indien neben Englisch Staatssprache und neben 23 weiteren Sprachen Amtssprache. Russisch ist in Rußland und Französisch in der Elfenbeinküste Staatssprache.
      • Ein anderes qualitatives Kriterium ist die Einstellung der Sprecher zu einer Sprache (engl. language attitude). In monolingualen Gesellschaften herrscht oft der naive Sprachchauvinismus, wonach meine Sprache eigentlich die einzig “richtige” ist. Diese Haltung hatten schon die alten Griechen gegenüber den Nachbarvölkern: Sie nannten sie bárbaroi, eine Bezeichnung, die onomatopoetisch das Geräusch wiedergibt, das jene Völker machen, wenn sie zu sprechen versuchen. Nicht viel anders ist es allerdings mit dem russischen Wort für “deutsch”: némec “Deutscher” basiert auf nemój “stumm”.
      • In multilingualen Gesellschaften werden die Sprachen von ihren eigenen Sprechern und denen der Nachbarsprachen bewertet und haben entsprechend unterschiedliches Sozialprestige. Z.B. ist in den Südstaaten der U.S.A. Englisch besser angesehen als Spanisch. In manchen Ländern Lateinamerikas, z.B. in Nicaragua, sind die Indianersprachen stigmatisiert bis zu dem Punkte, daß ihre eigenen Sprecher sie verleugnen und z.B. bei Zensus angeben, Sprecher des Spanischen zu sein. Im spanischen Baskenland hinwiederum hat Baskisch seit Wiedereinführung der Demokratie höheres Prestige als Spanisch.
      • Schließlich unterscheidet man nach dem Kriterium des Machtverhältnisse zwei Schichten: Gegeben eine Situation, wo die einheimische Bevölkerung von einem eingedrungenen Volk beherrscht wird, dann ist die einheimische Sprache das Substrat und die Sprache der Herrscher das Superstrat.2 Ein Beispiel aus dem europäischen Altertum ist die Konstellation in Gallien, wo nach der Unterwerfung der Gallier durch Cäsar Gallisch Substrat und Lateinisch Superstrat war. Hier setzte sich das Superstrat innerhalb weniger Generation durch, und das Substrat starb aus. In Großbritannien sprach ein großer Teil der Bevölkerung Inselkeltisch, bevor (im 5. Jh.) die Angelsachsen einwanderten. Seitdem sind die keltischen Sprachen, soweit sie überlebt haben, Substrat. Alle indigenen Sprachen Amerikas (des Kontinents) und Rußlands sind Substratsprachen der darübergelagerten europäischen Sprachen.
    Diese Verhältnisse spielen eine erhebliche Rolle, wenn für eine Sprache Sprachplanung und in einem Staat Sprachpolitik gemacht werden soll.

1 Der Ausdruck natürliche Sprache wird manchmal auch zur Abgrenzung gegen Fachsprachen i.S.v. “Gemeinsprache” verwendet.

2 Zwecks systematischer Vervollständigung der Terminologie nennt man eine Kontaktsprache gelegentlich auch Adstrat.