Von komplexen Fällen der “Polyphonie”1 abgesehen, hat ein Text bzw. Diskurs einen Autor, genannt Sprecher. (In den folgenden Beispielen bin ich das.) In seinen Diskurs kann der Sprecher kommunikative oder kognitive Akte anderer Autoren einbetten. Für solche Redewiedergabe gibt es i.w. zwei Methoden:2

.a.Erna sagte: "Ich habe Hunger."
b.Erna sagte, sie habe Hunger.

.a illustriert direkte Rede. Hier gebe ich Ernas Äußerung im Original wieder, trete ihr also zeitweilig die Sprechsituation ab. .b hingegen illustriert indirekte Rede. Hier bleibt es meine Sprechsituation, in der ich Ernas Produkt wiedergebe.

In der direkten Rede besteht die Möglichkeit zum wörtlichen Zitat; deshalb heißt sie auch zitierte Rede. Darüber hinaus kann der Sprecher ein beliebiges Maß an Imitation der originalen Äußerung – in Dialekt, Stimmführung, Tonfall und parasprachlichen Merkmalen – walten lassen. Bei der indirekten Rede besteht diese Möglichkeit nicht.

Grammatische Eingliederung

Direkte Rede (lat. oratio recta “gerade Rede”) ist, sprachsystematisch betrachtet, ein Text im Text. Der eingebettete Text ist daher eine Folge selbständiger Sätze mit allen zugehörigen sprachlichen Eigenschaften, von der Pragmatik über die Syntax bis zur Prosodie.

Indirekte Rede wird als grammatisch abhängig von einer Komponente im wiedergebenden Text gekennzeichnet und heißt deshalb auch abhängige Rede (lat. oratio obliqua “schiefe Rede”). Die grammatischen Mittel, mit denen das geschieht, hängen von der jeweiligen Sprache ab. Im Standarddeutschen gibt es mehrere Mittel, die teilweise auch gestaffelt werden können. In allen Varianten von gebe ich Ernas Äußerung in indirekter Rede wieder.

.a.Erna war ziemlich nölig. Sie habe Hunger und wolle nun endlich etwas zu essen sehen. Ob denn niemand kochen könne.
b.Erna sagte, sie habe Hunger und wolle nun endlich etwas zu essen sehen; ob denn niemand kochen könne.
c.Erna sagte, dass sie Hunger habe und nun endlich etwas zu essen sehen wolle. Sie fragte, ob denn niemand kochen könne.

In #a erscheint sie einfach im Konjunktiv I. Dieser besagt, dass, obwohl das Gesagte Bestandteil meiner Rede ist, die Perspektive darauf nicht die meine ist. Die pragmatische Konsequenz davon ist, dass ich dafür die Verantwortung nicht übernehme. Aus dem (Haupt-)Satz, der der Redewiedergabe unmittelbar vorangeht, geht zudem hervor, dass Erna die Autorin der wiedergegebenen Rede ist. Sobald nach .a wieder ein Satz im Indikativ folgt, gehen die Perspektive und Verantwortung an mich zurück.

In #b enthält der einrahmende Text bzw. Satz ein Kommunikationsverb (lat. verbum dicendi), nämlich sagte, das als solches ein propositionales Objekt nimmt. Die folgenden im Konjunktiv stehenden Sätze nehmen dessen Stelle ein. Der letzte Teilsatz ist zudem durch die einleitende Konjunktion sowie durch die Verbendstellung als Nebensatz gekennzeichnet. Während in der schriftlichen Wiedergabe die Zeichensetzung hilft, das Ende der Redewiedergabe zu bezeichnen, würden in gesprochener Rede wieder der Indikativ sowie die Hauptsatzstellung des Verbs den Perspektivwechsel bezeichnen.

Auch in #c hängt die indirekte Rede syntaktisch von einem Verb des Hauptsatzes ab; und zwar hängt der indirekte Aussagesatz von sagte, der indirekte Fragesatz von fragte ab. Die Nebensätze werden durch Konjunktionen eingeleitet und weisen überhaupt alle grammatischen Eigenschaften untergeordneter Sätze auf.

In der Umgangssprache gibt es weitere Varianten, insbesondere den Indikativ oder den Konjunktiv II anstelle des Konjunktivs I.

Deixis

Das deiktische Zentrum, die Origo, wird zunächst vom Sprecher besetzt. Das gilt, bis er die Origo an einen seiner Referenten abtritt. In der direkten Rede tut er das. In .a referiert die in meiner Perspektive gemachte Äußerung auf den Referenten Erna mit dem Ausdruck Erna. In der zitierten Äußerung hingegen trete ich die Origo an Erna ab. Dort wird folglich auf denselben Referenten mit ich referiert. Die deiktische Origo wechselt also nicht nur, wenn in einer Sprechsituation der Sprecher wechselt, sondern auch, wenn der Sprecher sie an einen seiner Referenten abtritt.

In der indirekten Rede hingegen besetzt der Sprecher weiterhin die Origo. Daher referiert das Pronomen ich in auf mich, den Autor von , und nicht etwa auf Erna, wie in .a.

.Erna sagte, dass ich Hunger habe/hätte.

Auch die Referenz von Personalia der dritten Person kann wechseln.

.a.Erna sagte: “Sie hat Hunger.”
b.Erna sagte, dass sie Hunger habe.

In .a bezieht sich sie auf einen Referenten, der nicht in Ernas Sprechsituation ist. In #b kann das immer noch so sein; aber sie kann sich stattdessen auch auf Erna beziehen.

Der Wechsel der Perspektive in direkter Rede betrifft die gesamte Deixis, also nicht nur die Personendeixis, sondern auch die Deixis von Raum, Zeit und Art und Weise. Wenn also in der in .a wiedergegebenen Äußerung von Erna Adverbien wie hier und jetzt aufträten, wären sie im Rahmen von Ernas Sprechsituation zu interpretieren. In hingegen wäre ich der Angelpunkt solcher Referenzen. Freilich wird dies im Deutschen weniger streng als die Personendeixis gehandhabt. Insbesondere in der Umgangssprache könnte in das Wort nun durch jetzt ersetzt werden, und es müsste in Ernas Sprechsituation interpretiert werden.

Zusammenfassung


1 Rahmenerzählungen können beliebig oft geschachtelt werden, so dass jedesmal die Rolle des Sprechers eines Diskursabschnitts neu vergeben wird. Und der Sprecher kann für seine eigenen Äußerungen jemand anders verantwortlich machen (Ducrot 1984).

2 I.w. auf die Schriftsprache beschränkt ist eine dritte Form, die “erlebte Rede”. Sie enthält Gedanken eines im (literarischen) Text vorkommenden Referenten. Sie besteht, wie die direkte Rede, aus selbständigen Sätzen, bildet also insofern wie diese einen Text im Text, übernimmt aber nicht die Deixis dieses Referenten, sondern belässt die Deixis des Autors. Dass tatsächlich Gedanken des Referenten und nicht des Autors wiedergeben werden, erschließt sich nur aus der Textsemantik und Pragmatik. Dies ist also eine Stilfigur, keine grammatische Methode.

Literatur

Ducrot, Oswald 1984, Le dire et le dit. Paris: de Minuit.

Plank, Frans 1986, “Über den Personenwechsel und den anderer deiktischer Kategorien in der wiedergegebenen Rede”. ZGL 14: 284-308.